Samstag, 16. Juni 2012


Auf dem Weg nach Hause kaufe ich ein paar Kindern, die einen Teppich-Flohmarkt vor der Miet-Parterre-Wohnung ihrer Eltern veranstalten, einen Plastik-Tiger ab. Für 1,50 €, mit stechenden Augen und Hoden. Total realistisch. Der Tiger passt gerade noch in meine Manteltasche. Zuhause spüle ich ihn erstmal gründlich mit Seife ab. Man weiß ja nie. Kinder zum einen – zu günstige Tiger zum anderen. Hausmeisterhaushalt wohlmöglich. Dann ziehe ich mich um, ich werde das Spiel in Düsseldorf gucken. Mit Kathrin mache ich noch ein paar Krokodil und Crystal-Speed-Scherze, aus rein funktionalen Gründen. Wer weiß schon, wie lange das noch gut gehen muss? Die erste Halbzeit wird bereits anfangen, wenn ich gleich in den Zug steige. Die Strassen sind absolut das, was man ausgestorben nennt. The day after tomorrow...–  denke ich während ich mit dem Schirm in ein Fleckchen Moos piekse, das aus der Fuge zweier Strassensteine rausgetrocknet ist und hochsteht, obwohl es doch in den letzten Tagen so häufig geregnet hat – ...is today. Genauso verregnet wie der letzte Frühsommer. Fast dieselben Strassen, darauf dasselbe Personal. Ich habe noch gut 10 min. Zeitunglesen im Kiosk. Das Match ist mir herzlich egal und auch der Bahnhof ist fast leer. Auf der Rolltreppe zum Gleis geht es mir beinahe total gut. Das letzte bisschen, das mir fehlt bekomme ich fast von dem grünen Licht, das aus den Lücken der elektrisch bewegten Stufen blitzt. 

Mit der rechten Schulter fädel ich mich immer wieder neu in den Menschenstrom ein. Dann warte ich wieder auf den Rest der Gruppe, an der Seite stehend. In der Altstadt, nach dem Spiel. Das Paar, das ich hier besuche ist leider anstrengend. Sie sind auf der Suche nach Verständnis und neuen Freunden. Sie haben sich bei mir gründlich verschätzt. Ich kann wieder gar nichts dafür. Wie sie mich in ihren Wünschen beschreiben, bekomme ich ein bisschen Angst und ich lache oft. Ich würde gern durch sie durchgehen, runter in den Keller dieser Bar. Oder später zwischen den Imbiss-Geschäften durch eine Gasse, wieder zu dem Strom der wirklich Fremden. Oder zum Rhein vielleicht. Aber es geht nicht und ich bleibe geduldig, als auch diese Leute mir abwechselnd von der Liebe erzählen. Mir Drogen anbieten, die ich lächelnd abweise. Sex ausschlage, der nicht meiner ist. Ich habe das schon so oft getan, dass ich darin fast charmant bin, mit der Übung. Sie beklagen die Armut ihrer Freunde, die ihnen einen sattes Miteinander verwehrt und täuschen sich, ich hätte genug Geld dazu und genug Rohheit. Einen Leichtsinn sprechen sie mir ab, weil ich auf ihren Rausch verzichte. Mein Rausch geht bei ihnen nicht. Ich erkläre vergeblich: Es ist das Blinken der Kontrolllampen hinter den Rolltoren am Markt. Das Schimmern von öffentlichem Marmor. Zerschlagenes Glas zwischen Schotter. Die dunklen Flecken, die sich irgendwo, immer wieder mal finden. Als ob sich da etwas hineingebrannt hat, ohne selber heiß gewesen zu sein. Jetzt nachts, auf dem Marktplatz, in den tiefsten Stellen der gerafften Fächer in den gesenkten Markisen. Auf der Hinfahrt eben, schattig hinter dem lauten Grün der Bäume und Hecken. Dazwischen noch das viel zu wirkliche Gewitterlicht, das von den Wolken verdeckt wird, um gleichzeitig aus ein paar ausgesuchten Körpern zu reissen. Im Zug stellte ich mir vor– und das mache ich auch jetzt, während das Paar mich für sein Leben wirbt, in dem Geld eine langweilig große Rolle spielt – wie ich an einem Tisch sitze, mit Blick über eine flache Wiese zu einem Waldrand. Das war leicht, denn einen ähnlichen Waldrand sah ich eben noch im Fenster der Bahn. Sitze da in einem dünnen bunten Kleid, mit still klopfender Brust und Sonnenbrille. Mir gegenüber ein kleiner Junge, der mir irgendwann einmal bekannt sein wird, vielleicht. Auf jeden Fall aber zu winzig für sein Age und den Stuhl und den Tisch, und klug genug mich nach schwarzen Wachstiften zu fragen, weil er die Stellen zwischen dem Laub malen möchte.