Dienstag, 17. Juli 2012


Ich halte nichts in den Händen, meine Arme sind nicht verschränkt. Lux sieht mich glasig von der Seite an, ich habe den Kopf abgewendend und tue uns damit einen großen Gefallen. Lux versucht nicht einmal mich zu verletzen, sondern probiert so etwas ähnliches wie gnadenlose Ehrlichkeit. Ich gehe an den anderen Gästen vorbei in den Garten und weiß dort auch nichts anzufangen ausser auf meinem Telefon rumzuwischen. Dabei wähle ich aus Versehen die Nummer meines Vaters. Ich kann immer noch nicht richtig mit dem Ding umgehen. Mit meinem Vater auch nicht. Wir reden nur kurz und dabei fächere ich die Finger zum stillen Gruß an eine schwarze Palme, die genauso zurückfächert. Es ist nicht schlimm kalt, sie haben trotzdem Heizstrahler unter den Sonnenschirmen aufgestellt. Die Menschen darunter sind alle rot-orange. Die Pflanzen des Gartens auf den Unterseiten grün, sonst schwarz. Auf dem Hinweg habe ich gesehen, wie Lux versucht hat Anne einzuholen. Er hat sie dabei immer wieder dasselbe gefragt, und ist ihr dabei mit seiner Hand beschwörend von den Schulterblättern zum Steiß gefahren. Ich muss mich hüten ihm zu sagen, was ich dazu denke. Die Braut bauscht sich auf einem für den Reifrock viel zu schmalen Stuhl. Dahinter wogen die nassen Büsche. Johannes erzählt mir von einem Freund, der anderen Menschen Energie durch die Augen aussaugt, während im Hintergrund das Hochzeitsalbum rumgereicht wird. Die Musik im Festraum ist sogar ganz gut. Wir sind noch nicht Mal zwei Stunden da, als Lux mir am Buffet das Pflaster vom Kinn reisst, um es Sekunden später wirklich zu bereuen, mit seinen Händen in den Sakkotaschen. »Versuche doch einmal« sagt er »dich in Zukunft etwas zurückzunehmen.« Ich gehe wieder raus, unter einen dieser Heizstrahler, um zu gucken wie meine Wunde das orange Licht findet. Und um nicht auszuflippen.

Schaffst du es noch ein bisschen? Nein? Wieviel noch bis überhaupt nicht mehr? Machst du uns Tee? Ich setze mich hier rüber, wir sind auch ganz still. Lieber lustig? Oke, dann das. Ich verlege lauter blaue Dinge in letzter Zeit, verstehe ich garnicht. Können wir vielleicht keine Musik hören und das große Licht auslassen? Ich weiß nicht wo dein Stift ist, jedenfalls nicht hier im Raum. Ich hab nämlich keine Lust ihn dir zu suchen, daran merke ich das. Dein Buch ist ein bisschen kaputtgeregnet – gut, dass es dich nicht schert. Kann es sein, dass du ganz schön schwimmst gerade? Dass du hoffst, das möge bald vorbeigehen? Meine Brüder haben mich manchmal an den Füssen nach unten gezogen, oder mir den Kopf unter den Spiegel gedrückt. Ich schwimme nicht gerne. Und in Schwimmbädern hören sich manche Geräusche wie aus dem Schiff einer Kirche an, mit den Bänken unter Wasser. Letzte Woche war Sperrmüll in meinem Viertel. Davon blieb so eine Antwort-Karte eines Kinderspiels auf dem Asphalt liegen. Stell dir vor, du fährst wirklich nach Lourdes, wegen der Fotos von den Madonnen. Dann nimmst du mich aber mit, ja? Auf der Vorderseite der Krte waren zwei gleich aussehende Männchen drauf. Oder dasselbe Männchen zweimal. Stell dir vor in Lourdes: da wären dann all die Alten und Kranken, gutes Wetter, Olivenbäume und Mirabellen. Nein, es wäre bestimmt nicht deprimierend. Es bestünde ja auch immer die Möglichkeit, wir würden da ein Wunder erfahren. Wir kämen geheilt wieder. Ich, zum Beispiel, bräuchte nie wieder ein Pflaster. Doch! Eben weil wir nicht mit Wundern rechnen, so funktionieren die ja. Deshalb würden auch nur wir eins bekommen. Auf der Rückseite der Karte stand Etwas in diesem Zimmer. Als ich sie fand, stand der Satz noch komischer da. Sie lag ja auf der Straße, und eine Straße ist ja kein Zimmer. Sie war ein bisschen kaputtgeregnet. So wellig wie die Fotos, die ich damals auf der Strasse fand und dir mitgebracht habe. Noch bevor ich dich um deine Freundschaft gebeten habe. Damit hattest du ja auch nicht gerechnet.