Donnerstag, 5. Juli 2012


Ich kann hören was Simon nicht hören kann, weil er selber den Raum verlassen hat. Dabei bin ich auch nicht dort, sondern räume mein Zimmer auf, die klischeehafte Verwahrlosung nervt mich langsam. Unsere Rechner sind auf Freisprechen geschaltet, seit Stunden. Wir reden nicht forciert, nur wenn es sich ergibt. Man hört überwiegend die Umgebung des Anderen, der den Raum gerade verlassen hat. Es klingt wie eine Sound-Sample CD, die in einem leeren Pool abgespielt wird. Ziemlich schlechte Qualität, dadurch wird mein Zimmer eine Spur tiefer, nicht viel mehr, nur um den dünnen Klang der Lautsprecher. Er legt sich über die Geräusche die schon von meiner Umgebung mitgeliefert wurden. Dasselbe halt. Auto-Rauschen, Vögel, schlagende Türen. Seit heute Morgen gebe ich das Passwort meines Rechners ständig falsch ein. So oft bis ich mir ein neues ausdenken muss. Das um die Skype-Kulisse erweiterte Zimmer klingt, als spiele es kaum eine Rolle, wo man sich gerade befindet. Es müsste das Ganze noch trauriger machen, aber irgendwie tut es das nicht sehr. Es wirkt beruhigend. Und das ist beunruhigend. Ich werde aufgefordert einen Merksatz für das neue Passwort einzugeben. »Der Ort ist nicht sehr wichtig.« Das alte Passwort hieß »BletchleyPark«.

Wie ein Blatt Papier von der Seite, fühlte es sich an. Gefaltet oder was auch immer, zwischen meine Rippen geschoben. Da in Schwebe gehalten. Von Flüssigkeit oder Angst. Von draussen schießt Sonnenlicht durch Baumkronen. »Wartet ab, gleich wird das richtig krass, wenn die Sonne da hinten rum kommt, hier ist dann alles golden.« Wie ein gerafftes Tuch fühlte es sich an. Oder ein ganz dünnes Vlies, das in Wasser schwimmt. Ein gestrichenes Segel oder was?, was meinte das Gefühl damit?, die kryptische Sau. Jetzt ist es weg. Ich kann nicht sprechen. Aber das Bild kann ich noch sehen. Und ich sehe auch: Laub das nie mehr fallen sollte, davor die Jungens in den Küchen-Fenstern sitzend, mit Filtern im Mundwinkel und Blättchen in den Fingern. Tassen und Gläser auf dem Tisch. Schnee hinter den Klümpchen der Rauhfaser-Tapete. Explosionen unter der Kaffesahne. Endzeitwolken aus Rahm. »Milch die sich mit Blut vermischt, sieht voll schön aus. Hab ich im Netz gesehen. Ich schick dir den Link.« Ach- gib mir lieber ein Herz oder seine metaphysische Entsprechung, damit sich meins ein bisschen ausruhen kann.

Traumhaft, das geklaute Rad. Einfach spitze. Ich komme Mittags bis zum Park damit. Liege im Rasen und sehe jungen Paaren beim Fangspiel zu. Der Ball findet ab und an schöne Parabeln zum Rasen hin, der frisch gemäht ist. Als ich aufstehe, bin ich von oben bis unten beklebt mit Grashalmen. Druck-Spuren auf den Unterarmen, die aussehen wie die Aussenseite von Vogel-Nestern. Ich glaube heute an die Schwerkraft und dass Zusatzstoffe in der Nahrung gar nicht so schlimm sind, und die große Liebe. Ich glaube an die sozialwirkenden Kräfte von Drogen, bei gleichzeitig destabilisierender Wirkung auf Gruppen. Ich zweifel heute an gar nichts und summe abwechselnd die Hookline von »The Panic« und dann wieder Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Ich kann für Minuten nur »Parabel« denken, und an seltsam geformte Lineale. Ich friere fürchterlich im Supermarkt, wegen der offenen Kühlung. Stehe mit um den Körper gelegten Armen im Kassenbereich, Blick auf die News auf den Info-Screens. Überlege beim Bäcker nach Gottes-Teilchen zu fragen. »Hören sie, ich mache niemanden einen Vorwurf, wir sind alle auf lebenslang unschuldig. Auf ewig unschuldig. Diese Unschuld sitzen wir hier ab.« 

Gerade finde ich kein akzeptables Laken mehr und flippe darüber total aus. Habe nur noch ein rotes im Schrank. Es kommt nicht in Frage. Ich bin sicher auf einem roten erst recht nicht einschlafen zu können. Dafür schere ich mich weniger um das Blut an den Beinen und Bettüchern, die auf dem Boden liegen. Selber ekelhaft. Ich sagte weniger, und nicht gar nicht. Ich flipp aus, wo ist das blaue Laken? Es war The Panic von den Smith’s. Aber nur die Hook-Line. Die halbe Nacht ging das. Hatte ich noch nie. Dann fielen nebenan Fotos von der Wand, ich hab gehört wie sie an der Wand runtergeschlittert sind. Doch. Doch. Warte mal grad – keiner da, geil! Und du? Jolle? Fabi, heute Abend? Nein, ich geh früh schlafen. Ja. Es kann ja – Stimmt, hhhm. Das wüsste ich auch gerne. Wann hast du den Termin nochmal? Glaubst du? Nein, du machst das schon. Und nicht immer dieses Hängen lassen und dann wieder hoffen. Im Zeitraffer sähe das aus wie ein bedächtiges Nicken. Es kann ja keiner was dafür, dass die Welt so... crazycool ist. Crazycool zusammengeschrieben. Hahaha. Du machst das schon.